Eine tiefgreifende und herausfordernde Umstrukturierung prägt derzeit die europäische petrochemische Industrie. Sie ist gekennzeichnet durch weitreichende Anlagenstilllegungen und einen deutlichen Rückgang der regionalen Wettbewerbsfähigkeit. Diese strategische Schrumpfung, vorangetrieben durch anhaltende Verluste und eine rasante globale Ausweitung der Produktionskapazitäten, insbesondere in Asien, gefährdet die industrielle Basis des Kontinents erheblich und untergräbt seine Autonomie bei kritischen chemischen Zwischenprodukten.
- Europa erlebt eine massive Restrukturierung der Petrochemie mit weitreichenden Anlagenstilllegungen.
- Hohe Betriebskosten und veraltete Infrastruktur belasten die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Produzenten.
- Die EU-Kommission plant staatliche Hilfen zur Modernisierung und bevorzugte Behandlung europäischer Produkte bei Ausschreibungen.
- Versalis (Eni) verzeichnete über 3 Milliarden Euro Verlust in fünf Jahren und schließt Italiens letzte Steam Cracker.
- Bis zu 50.000 Arbeitsplätze könnten bis 2035 durch weitere Schließungen in Europa gefährdet sein.
- Geschätzt 40 % der gesamten Ethylenkapazität der EU sind von einem hohen oder mittleren Schließungsrisiko bedroht.
Seit Jahren kämpfen europäische Produzenten mit der doppelten Last hoher Betriebskosten und einer veralteten Fertigungsinfrastruktur. Dies hat ihre Rentabilität gravierend untergraben und die Region zunehmend von Importen fundamentaler Primärchemikalien wie Ethylen und Propylen abhängig gemacht, die als unverzichtbare Bausteine für eine Vielzahl von Gütern – von Kunststoffen und Pharmazeutika bis hin zu unzähligen Industriekomponenten – dienen.
Branchenbedenken und politische Reaktionen
Führende Branchenvertreter haben die wahrgenommene mangelnde proaktive politische Intervention offen kritisiert. Jim Ratcliffe, Gründer von INEOS, einem Konzern, der auf dem Erwerb petrochemischer Anlagen aufgebaut wurde, hat zuvor erklärt, dass Europas Untätigkeit in starkem Kontrast zu globalen Investitionen in neue Cracker-Anlagen stehe. Um diesen Bedenken zu begegnen, hat sich die Europäische Kommission kürzlich dazu verpflichtet, die heimische Produktion strategisch wichtiger Chemikalien zu stärken. Dieses Versprechen umfasst die Ausweitung staatlicher Beihilfen für die Modernisierung von Anlagen und die verbindliche Bevorzugung europäischer Produkte bei öffentlichen Ausschreibungen, ähnlich früherer Gesetzgebungen für Metalle und Mineralien.
Trotz dieser staatlichen Bemühungen herrscht in der Branche weiterhin erhebliche Skepsis hinsichtlich ihres Potenzials, den bereits entstandenen Schaden rückgängig zu machen. So meldete Versalis, die Chemiesparte von Eni, in den letzten fünf Jahren kumulierte Verluste von über 3 Milliarden Euro (3,5 Milliarden US-Dollar). Folglich schließt Versalis Italiens letzte zwei Dampfcracker und reallokiert 2 Milliarden Euro für Investitionen in Bio-Raffinerien und chemische Recyclingtechnologien. Andere globale Branchenführer, darunter Dow, ExxonMobil, TotalEnergies und Shell, evaluieren ihre europäischen Chemieaktiva ebenfalls neu oder stoßen sie ab.
Operative Auswirkungen und wirtschaftliche Aussichten
Die Mehrheit der geplanten Stilllegungen betrifft Steam Cracker, die entscheidende Einheiten zur Umwandlung von Kohlenwasserstoffen in essenzielle chemische Ausgangsstoffe wie Ethylen und Propylen sind. Ein im März von acht EU-Ländern vorgelegtes Dokument unterstrich die gravierenden wirtschaftlichen Folgen und schätzte, dass bis 2035 durch potenzielle weitere Cracker-Schließungen in ganz Europa bis zu 50.000 Arbeitsplätze gefährdet sein könnten. Aktuelle Betriebsdaten zeigen, dass europäische Anlagen, typischerweise kleinere und mittelgroße Betriebe, mit einer durchschnittlichen Auslastung von unter 80 % operieren – ein Niveau, das für nachhaltige Rentabilität im Allgemeinen als unökonomisch gilt.
Das Beratungsunternehmen Wood Mackenzie schätzt, dass bis zu 40 % der gesamten Ethylenkapazität der EU, die sich auf 24,5 Millionen Tonnen beläuft, einem hohen oder mittleren Schließungsrisiko gegenübersteht. Diese Zahl beinhaltet bereits angekündigte Stilllegungen seit Ende 2024 und unterstreicht die tiefgreifende und anhaltende Transformation der europäischen petrochemischen Landschaft.

Markus ist unser Finanzprofi mit einem siebten Sinn für Zinsänderungen und Wirtschaftstrends. Wenn er nicht gerade durch Bilanzen stöbert oder die neuesten Börsennachrichten kommentiert, sucht er verzweifelt nach dem perfekten Cappuccino – vorzugsweise unter 2 Euro. Sein Motto: „Kaffee rein, Aktien rauf.“